Warum mit dem Pferd?

Der Begriff Sanfter Tourismus hat wohl kaum mehr Berechtigung als beim Reisen in von Arbeitspferden gezogenen Fahrzeugen, meinen Herold und Kollegen. Der Tourismus ist in Deutschland sicherlich das bedeutendste kommerzielle Einsatzgebiet für  Kaltblut- bzw. Zugpferde.
Vorteile, wenn man mit Kutschpferden im Naturschutzgebiet unterwegs ist, sind z.B.:
• Werbung und Imagepflege: Der Einsatz von Pferden wird von Besuchern der Schutzgebiete gut angenommen.
• Entschleunigung: Pferde, die Kremser ziehen, ermöglichen Entspannung der Passagiere und einen bewussten Genuss der Umgebung. Die Fahrt selbst ist dabei wichtiger als der Zielort.
• Geringere Lärmbelästigung: Wildtiere in Naturschutzgebieten sowie Besucher werden weniger gestört.
• Wildtiere sehen Pferde nicht als Bedrohung an und sind deshalb Kutschen gegenüber wenig scheu. Damit wird Kremsertouristen ein direktes Erleben der Natur ermöglicht.
• Barrierefreier Zugang zum Naturschutzgebiet, falls behindertengerechte Kutschen zum Einsatz kommen.
• Umweltbildung. Bei geführten Kutschentouren, z.B. thematischen Touren, leisten die Pferde ihren Beitrag für mehr Wissen um und Verständnis für die Natur.

Kutsch- und Planwagenfahrten im Nationalpark Harz. Fuhrbetrieb Rüdiger Hasenbalg.

Kutschentouren in Nationalparks

In Deutschland gibt es 16 Nationalparks (NP). Von 14 Parks erhielten wir Antwort auf unsere Anfrage, ob dort Pferde im Sanften Tourismus eingespannt werden. In zehn von 14 Parks (71 Prozent) kommen Pferdefuhrwerke zum Einsatz.

Schlittenfahrt im Nationalpark Harz.

Fahrtouristik Ralf Fangerow (Nationalpark Unteres Odertal).


Kutschfahrten erwünscht

Im Alpen-Nationalpark Berchtesgaden werden Pferdeschlittenfahrten angeboten. Im NP Hamburgisches Wattenmeer pendeln Wattwagen zwischen der Insel Neuwerk und dem Festland. „Durch die geringere Lärmproduktion als beim Trecker bedeuten die Fahrten weniger Störung für rastende Vögel. Zudem gibt es weniger Emissionen“, schreibt Johanna Krause vom Naturschutzamt Hamburg.
Im NP Müritz (mecklenburgische Seenplatte) bieten zwei Anbieter Kutschfahrten an. „Hier führen ‚Guides‘ die Gäste, was für uns im Sinne der Umweltbildung einen Vorteil darstellt“, sagt Martin Kaiser vom Nationalparkamt. Auch in den Wäldern und Wiesen der Eifel ist ein Anbieter von Kutschfahrten unterwegs. Außer zu festen Terminen können auch gesonderte Touren mit geschulten Waldführern gebucht werden. Diese ehrenamtlich tätigen Experten bringen ihren Gästen das Schutzgebiet mit seiner Flora und Fauna näher“, meint Martin Weisgerber vom Nationalparkforstamt. „Besonders an der Planwagenfahrt ist, dass sie dank einer Rampe auch Rollstuhlfahrern zur Verfügung steht. Auf dem Weg in die Natur in dieser Form gibt es also sprichwörtlich keine Barrieren!“
Im Nationalpark Kellerwald-Edersee ist Fuhrunternehmer Ralf Finke unterwegs. „Der Einsatz von Planwagen im NP bietet vor allem hinsichtlich der Barrierefreiheit enorme Vorteile: Auch in ihrer Mobilität eingeschränkten Besuchern wird ein Zugang zur Wildnis geboten“, so Lisa Maria Kreh von der dortigen Nationalparkverwaltung.
Im NP Unteres Odertal sind zwei Anbieter von Kremserfahrten in der Oderniederung unterwegs. „Die Fahrten werden von zertifizierten Nationalparkpartnern angeboten, die den Gästen Wissenswertes über Nationalpark und die Umgebung nahebringen. Es handelt sich um ein Angebot, das sich von allgemeinen Spazierfahrten oder individuellen privaten Fahrten unterscheidet“, sagt Dr. Hans-Jörg Wilke von der Nationalparkverwaltung.

Unterwegs auf der autofreien Insel Hiddensee, die im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft liegt. 

Hochburgen des Sanften Tourismus mit Pferden

Im NP Hainich mit seinen bewaldeten Höhenrücken und mit neun Anbietern sind „die gebuchten Fahrten überwiegend als reine Spazierfahrten zu betrachten“, meint Thomas Börner von der Nationalparkverwaltung. „Außerdem hat sich beim Wanderwegebau der Einsatz der Kaltblüter bewährt. Das Material wird vom LKW am Hauptweg abgekippt. Dort wird es auf den Pferdewagen geladen und so auf die Wanderwege gebracht. Diese schonende und umweltfreundliche Art des Transportes genießt bei den Besuchern eine hohe Akzeptanz.“
Im NP Niedersächsisches Wattenmeer „bietet sich für Planwagenfahrten natürlich die autofreie Insel Juist an. Dort veranstaltet z.B. das Nationalparkhaus zusammen mit einem Fuhrunternehmen Planwagentouren“, so Gregor Scheiffarth von der Nationalparkverwaltung. Mehr zum Thema Juist: siehe SP Nr. 69 S. 18ff.
Im NP Vorpommersche Boddenlandschaft wurden früher sogar eigene Kaltblüter gehalten. Dies lohne sich nun nicht mehr, erklärt Katrin Bärwald von der Nationalparkverwaltung. Auch hier gibt es eine Insel, nämlich Hiddensee, wo Kaltblüter den Autoverkehr (fast) ersetzen. Ein Betriebsportrait der dort ansässigen Fuhrhalterei Neubauer findet sich in der SP 46 Seiten 89ff. Auf Hiddensee gibt es Kutschentouren als Spazierfahrt oder mit Führungen durch den Nationalpark sowie Lastenfahrten. „Kutschen gehören hier zum Bild“, so Bärwald. Kutscher haben ein Mal im Jahr die Möglichkeit einer Schulung, um die Gäste gut durch den Nationalpark führen zu können. Ansonsten kann ein Ranger für die Kutschfahrt zugebucht werden. Auch auf Hiddensee wird bei der Pflege der Wege mit den Fuhrhaltern zusammengearbeitet.
Die Fuhrhalterei Bergmann (Darß) schreibt auf ihrer Webseite: „Durch die touristische Nutzung haben die ‚sensiblen Dicken‘ auch ihre Daseinsberechtigung gefunden.“ Zum Einsatz kommen bei den verschiedenen Fuhrunternehmen aber nicht nur Kaltblüter, sondern auch Haflinger, Warmblüter und Schwere Warmblüter.
Bärwald: „Im Nationalpark verbietet sich Kraftverkehr; das erwarten die Besucher. Absolute Ausnahmen sind Autos zur Versorgung der Leuchttürme. Selbst Kamerateams fahren mit der Kutsche oder gehen zu Fuß. Das Motto der deutschen Nationalparks ist: ‚Natur Natur sein lassen.‘ Das heißt aber auch, dass Kutsche und Fahrrad nicht überall zugelassen sind. Es gibt dafür ein spezielles Wegenetz. Besucher sollen jedoch wettergeschützt an den Highlights ankommen können. Auch Lärmbelästigung und Emissionen sprechen gegen den Einsatz motorisierter Fahrzeuge im Nationalpark.“

Dreier-Anspannung dort, wo steilere Steigungen vorkommen als bei den üblichen Fahrten: Archehof Kellerwald im Natur- und Nationalpark Kellerwald.

Kutschfahrten überall beliebt

Natürlich gibt es außerhalb der Nationalparks in Deutschland auch viele andere geschützte Naturgebiete, sonstige landschaftlich schöne Gebiete oder historische Innenstädte,  wo unzählige Fuhrunternehmen tätig sind,  Kremserfahrten anbieten und ihre Gäste auf diese besondere Weise den Genuss von Natur, Landschaft und Kultur ermöglichen. Ein Teil dieser Unternehmen fährt sogar mit barrierefreien Fahrzeugen.

Pferdedroscke am Berliner Gendarmenmarkt.


Internet & Adressen

Das BfN-Skript „Arbeitspferde im Naturschutz“ finden sie unter "Naturschutz"
Therese Grosswiele - horse drawn mobility: https://fectu.wordpress.com, www.horsesgogreen.eu
Kutsch- und Planwagenfahrten Rüdiger Hasenbalg, Bad Harzburg: http://kutsch-und-planwagenfahrten.de
Archehof Kellerwald: Suchbegriff unter www.youtube.com:  "Arche-Hof Kellerwald"
Fahrtouristik und Holzrückunternehmen Ralf Fangerow, Dobberzin: Tel. 0172-9451467

 

Fotos:  Fangerow, Finke, Hasenbalg, Schroll