Geschichte einer Trennung
von Ulrich Raulff
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Produktinformationen
    Seit Urzeiten war das Pferd der engste Partner des Menschen. Es war unverzichtbar in der Landwirtschaft, verband Städte und Länder, entschied die Kriege. Doch dann zerbrach der kentaurische Pakt,
    und in nur einem Jahrhundert fiel das Pferd aus der Geschichte heraus, aus der es Jahrtausende lang nicht wegzudenken war. Furios erzählt Ulrich Raulff die Geschichte eines Abschieds – die
    Trennung von Mensch und Pferd. Der Exodus des Pferdes aus der Menschengeschichte ist ein erstaunlich unbeachteter Vorgang. Ganze Bibliotheken zur
    Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts schweigen sich aus über das Pferd, das gleichwohl in Europa und Amerika allgegenwärtig war – bis das letzte Jahrhundert der Pferde in der Zeit Napoleons
    anbricht und mit dem Ersten Weltkrieg ausklingt. Ulrich Raulff zieht in seinem neuen Buch alle Register der Kultur- und Literaturgeschichte und beschreibt mit beeindruckender Erzählkunst eine
    untergehende Welt – ein Kapitel vom Auszug des Menschen aus der analogen Welt.
Interview mit Professor Ulrich Raulff (R)/Erhard Schroll (SP), geführt am 12. Oktober 2016
"...es kann sein, dass mit der Enegergiewende die Pferde wiederkommen."
    SP: Die Arbeitspferde und
    deren Bedeutung für die
    Entwicklung unserer Gesellschaft
    und unserer Wirtschaft
    wurden bisher allgemein eher
    als Randnote der Geschichte
    angesehen. Deshalb habe ich
    mich sehr gefreut, als ich von
    Ihrer Veröffentlichung gehört
    habe, welche die Pferde in
    den Mittelpunkt der Betrachtung
    stellt. Ich habe Ihr Buch
    als eine Würdigung verstanden
    für den wichtigen Beitrag,
    den die Pferde für die
    Entwicklung der Menschheit
    geleistet haben. War das die
    Intention Ihrer Arbeit?
    
    R: Ja, sicher. Ich wollte daran
    erinnern, wie sehr die
    Menschen in der gesamten
    Zeit der Geschichte, nicht
    nur der geschriebenen Geschichte,
    sondern schon davor,
    auf Pferde angewiesen
    gewesen sind, wie eng sie
    mit den Pferden zusammengelebt
    haben und was für
    eine besondere Beziehung
    das war zwischen Menschen
    und Pferden. Das fand ich,
    bedurfte der Erinnerung. Ich
    hätte auch, so wie ich das
    Buch meiner Mutter gewidmet
    habe, es zwei, drei Pferden
    widmen können, die ich
    als Kind und junger Mann
    kannte und liebte und die mir
    bleibenden Eindruck hinterlassen
    haben. Ich hätte also
    auch schreiben können: Für
    Cora und Alex - wobei Alex
    eben ein starkes Arbeitspferd
    war.
    
    SP: Über solche persönlichen
    Bezüge zu einzelnen Pferden
    liest man ja relativ häufi g.
    Was aber meiner Meinung
    nach bisher in der Literatur
    gefehlt hat, war eine verallgemeinernde
    Darstellung,
    welche die Gesamtbedeutung
    der Pferde hervorhebt.
    
    R: Natürlich sind die Erinnerungen
    und die Anekdoten
    wichtig. Ich merke das auch,
    wenn ich mit dem Buch irgendwo
    auftrete und lese.
    Dann stehen anschließend
    Leute auf und sagen: Also
    da muss ich Ihnen jetzt auch
    mal eine Geschichte erzählen,
    oder dazu fällt mir aber
    noch das und das ein. Das ist
    gerade das Schöne an einem
    solchen Buch, dass es bei den
    Lesern so viele persönliche
    Erinnerungen weckt. Es ist
    auch für den Autor sehr befriedigend,
    wenn sein Buch
    nicht nur als mehr oder minder
    interessante Darstellung
    gelesen wird, sondern wenn
    es die Leute direkt in ihrem
    Innersten, in ihren Erinnerungen
    trifft.
    
    SP: Sie sprechen davon, dass
    die Trennung zwischen Pferd
    und Mensch vollzogen, der
    „kentaurische Pakt“ aufgehoben
    sei, der enge, feste
    Zusammenschluss zweier
    Partner, die über Jahrtausende
    gemeinsam die Geschicke
    der Menschheit bestimmt haben.
    In Deutschland gibt es
    heute aber wieder eine große
    Anzahl von Pferden - doch
    keine Trennung?
    
    R: Für die Sportreiter sieht
    das sowieso alles anders aus.
    Wenn ich Veranstaltungen
    mache z.B. in Buchhandlungen,
    dann sitzen da auch
    immer viele Mitglieder des
    örtlichen Reitervereins. Da
    sind auch Leute darunter,
    die nicht nur reiten, sondern
    die auch fahren oder die gute
    Sportpferde besitzen, Pferde,
    die nicht nur zum Reiten oder
    gar zum Springen benutzt
    werden, sondern auch zum
    Ziehen. Das geht schon bis
    an den Rand, bis in die Überschneidungszone
    zu den Arbeitspferden.
    Und diese Leute
    sagen mir dann natürlich,
    schauen Sie mal, das stimmt
    doch gar nicht mit dem Ende
    des Pferdezeitalters. Und tatsächlich:
    es gibt wieder über
    eine Million Pferde in der
    Bundesrepublik, und es gibt
    über eine Million Leute, die
    reiten; ich weiß nicht, wie viele
    es gibt, die fahren und die
    mit Pferden arbeiten. Aber es
    gibt meines Wissen 300.000
    Leute in der Bundesrepublik,
    die von der Pferdewirtschaft
    leben, die alles Mögliche
    bereitstellen, damit wir mit
    Pferden zusammen leben
    können, dass es den Pferden
    gut geht, dass die Pferde geheilt
    werden, wenn sie krank
    sind, dass wir Reiter-Ferien
    machen können, und lauter
    so nette Sachen.
    
    SP: Die Freizeit- und Sportpferdeszene
    hatte und hat
    einen beachtlichen Einfl uss
    auf unser Geschichtsbild. So
    ist mir aufgefallen, dass beispielsweise
    in den Deutschen
    Pferdemuseen die Rolle des
    Arbeitspferdes in der Regel
    nur sehr kurz abgehandelt
    wird.
    
    R: Das ist richtig. Ich war
    neulich in Verden an der Aller,
    und vor kurzem erst war
    ich im Deutschen Pferdemuseum
    in Münster. Diese
    Museen sind natürlich auch
    alle ein bisschen durch die
    örtlichen Zuchten geprägt.
    In Verden an der Aller wird
    natürlich der Hannoveraner
    groß ins Bild gerückt, und
    auch das Oldenburger Pferd,
    aber das sind Sportpferde.
    Sicher haben die noch eine
    gewisse Dominanz. Aber ich
    fi nde Ihre Pferde und Ihre
    Klientel sind doch wieder
    sehr im Kommen und rücken
    auch wieder mehr ins Bild.
    Man sieht das z.B. in München,
    wenn da wie jüngst
    das Oktoberfest beginnt und
    die wunderbaren Bierwagen
    durch die Stadt rollen und
    sich die gesamte Münchner
    Bevölkerung daran erfreut.
    Das Arbeitspferd ist insgesamt
    wieder stärker im Kommen
    und fi ndet wieder mehr
    Beachtung.
    SP: Kann man die Genesung
    und Auferstehung des todkranken
    Pferdes im letzten
    Abschnitt so verstehen, dass
    es noch eine gewisse Hoffnung
    auf eine mögliche Wiederkehr
    gibt?
    
    R: Ja, so meinte ich das auch,
    symbolisch gesprochen. Das
    ganze Buch beschreibt das
    Ende des Pferdezeitalters,
    und dann heißt das letzte Kapitel
    noch einmal: Tod eines
    Pferdes. Aber der letzte Satz
    heißt: Er hatte überlebt.
    
    SP: Sehen Sie eine Chance,
    dass das Pferd im weitesten
    Sinne wieder eine tragende
    Zukunft für die Menschen
    haben könnte?
    
    R: Sagen wir einmal so: Es
    hat eine tragende Gegenwart,
    und zwar überall da,
    wo wir mit Maschinen ans
    Ende kommen, wo man mit
    maschinellem Einsatz nicht
    weiter kommt. Das können
    Sie ja noch beim Holzrücken
    im Schwarzwald oder im
    Bayerischen Wald erleben
    oder bei den Gebirgsjägern,
    und an vielen anderen Orten.
    Also da, wo Sie mit Maschineneinsatz,
    mit Treckern,
    mit Unimog usw. nicht mehr
    weiterkommen, im unwegsamen
    Gelände, da ist dann
    das Pferd oder auch das Muli
    der zuverlässige Freund und
    Helfer und Träger des Menschen.
    Das ist außerhalb von
    Europa sicher noch sehr viel
    bedeutsamer, in bestimmten
    Gegenden und bei speziellen
    Aufgaben. Sogar bei militärischen
    Aufklärungs-Aufgaben
    in Afghanistan sind Pferde
    nochmals zum Einsatz gekommen…
    Was in der Zukunft passiert,
    zum Beispiel durch bevorstehende
    ökologische Umbrüche,
    durch ein Abrücken von
    den jetzt momentan dominierenden
    Energiequellen, also
    fossilen Brennstoffen usw.,
    welche Zukunft da dem Pferd
    noch wieder blühen mag, das
    können wir heute noch nicht
    sagen. Vielleicht werden wir
    eines Tages auch in unseren
    Städten wieder die Pferde
    einziehen sehen, weil wir das
    Feinstaub-Problem anders
    gar nicht mehr in den Griff
    kriegen. Verstehen Sie, wenn
    wir die Autos wieder aus den
    Städten verbannen müssen,
    weil wir sonst die Städte dicht
    machen können, dann macht
    uns vielleicht das Pferd das
    Angebot der Stunde.
    
    SP: Ich finde es sehr interessant,
    dass innerhalb der
    letzten zehn Jahre zwei Werke
    veröffentlicht werden, die
    ganz neue Aspekte in die
    Geschichte der Menschheit
    einbringen: Ihr Buch und das
    Buch von Wolfgang Behringer
    „Die Kulturgeschichte
    des Klimas“. Beide haben in
    irgendeiner Form mit Energie
    zu tun.
    
    R: Richtig, Behringer hat ja
    das Buch über den Ausbruch
    des Tambora gemacht. Als
    dessen Aschewolke den Himmel
    verdüstert und zu Missernten
    führt, die Pferde kein
    Futter mehr kriegen, die Leute
    auswandern usw., da setzt
    ja zum ersten Mal die Rede
    vom Ende des Pferdezeitalters
    ein, und dass die Pferde
    ersetzt werden müssen durch
    technische Mittel; da erfi ndet
    der Freiherr von Drais
    sein Laufrad. In den Jahren
    um 1817 ist zum ersten Mal
    von einer Energiewende die
    Rede. Wir reden jetzt auch
    wieder von einer bevorstehenden
    Energiewende, und
    es kann sein, dass mit ihr
    die Pferde wiederkommen.
    Das ist im Moment noch alles
    offen, und ich kann es mir
    durchaus vorstellen.
    
    SP: Wir auch und deswegen
    arbeiten wir daran, Chancen
    auszuloten und Möglichkeiten
    aufzuzeigen. Wir freuen
    uns, dass Sie uns durch Ihre
    Veröffentlichung darin unterstützen.
    
    R: Ich wünsche Ihnen viel
    Glück dabei.
    
    SP: Herr Professor Raulff,
    ich bedanke mich recht herzlich,
    dass Sie sich die Zeit genommen
    haben und wünsche
    Ihnen weiterhin noch viel Erfolg
    mit Ihrem Buch.
Der Autor
    Ulrich Raulff ist Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar. Zuvor war er u. a. Feuilletonchef der
    Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Er hat Bücher über Marc Bloch
    und Aby Warburg geschrieben und für seine Arbeiten den Anna-Krüger-Preis für wissenschaftliche Prosa und den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik erhalten. Sein bei C.H.Beck erschienenes
    Buch „Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben“ wurde 2010 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse für das beste Sachbuch ausgezeichnet.
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